Gerichts- und Anwaltsserien bereichern seit Jahrzehnten das deutsche Fernsehprogramm, ob „Richterin Barbara Salesch“, „Richter Alexander Hold“ oder „Liebling Kreuzberg“ (mit dem unvergesslichen Manfred Krug, ausgestrahlt 1986-1998). Die erste Gerichtsserie stellte jedoch „Das Fernsehgericht tagt“ dar, das zwischen 1961 und 1978 authentische Fälle nachstellte. Legendär, allerdings komödiantisch und mit viel Lokalkolorit inszeniert waren die 1969-1972 ausgestrahlten 53 Folgen von „Königlich Bayerisches Amtsgericht“, die die „gute, alte Zeit“ von 1911/12 wiedergeben sollten. Solche Amtsgerichte, aber auch Land- und Bezirksgerichte prägten das Gerichtswesen in Bayern bis zum 1.1.1879, als mit den sog. Reichsjustizgesetzen die heutige Gliederung der Gerichte vorgenommen wurde. Die Kommunikation zwischen den damaligen Gerichten erfolgte in Schriftform und postalisch, was bis vor kurzem auch bei den heutigen Gerichten zum mühevollen Versenden ganzer Akten führte. Die Einführung der elektronischen Akte (= „E-Akte“) und die seit 1.1.2022 bestehende Pflicht für Rechtsanwälte, mit Gerichten -außer in Strafsachen- schriftlich nur noch elektronisch kommunizieren zu dürfen, revolutioniert das gesamte Justizwesen, macht aber so hübsche Postbelege wie die nachstehende Faltbriefhülle aus dem Jahre 1860 obsolet:
Der tadellos erhaltene Beleg ist mit Bayerns 12 Kreuzer rot auf weiß der sog. Quadratausgabe frankiert. Kein sonstiger Altdeutscher Staat verausgabte 12 Kr-Marken, so dass die Bayern selbst auf diesem Gebiet einen typisch bayerischen Sonderweg gingen. Die voll- bis breitrandig geschnittene Marke ist außergewöhnlich farbfrisch erhalten und besitzt links und unten die fast kompletten Schnittlinien, die im Druckbogen benachbarte Marken trennten und dem Postbeamten das Ausschneiden erleichterten. Unter der Lupe sind die besonders feinen Ornamente, die die „12“ und die Ecken ausfüllen, gut erkennbar. Das Porto von 12 Kr galt für Briefe der 4. Gewichtsstufe bis 12 Meilen Entfernung (= ca. 90 km). Das genügte natürlich für unseren Brief von München ins rund 40 km südlich gelegene Wolfratshausen, denn Absender war das „Königliche Bezirksgericht München rechts der Isar“, Vorläufer des heutigen Landgerichts München I, dem auch das 1854 eingemeindete Au zugeteilt wurde, wo der Brief aufgegeben wurde (Halbkreisstempel „Vorstadt Au 1/10“), weshalb die Marke mit einem kristallklaren sog. offenen Mühlradstempel Nr. „25“ (für „Au“) entwertet wurde. Empfänger war das „Königliche Landgericht Wolfratshausen“, das aber nur bis 1879 bestand. Ein innenseitiger Bearbeitungsvermerk vom 26.10.1860 verrät uns das Jahr dieser seinerzeitigen brieflichen Gerichtskommunikation.