Das Lebenswerk des österreichisch-tschechischen bzw. deutsch-böhmischen Schriftstellers jüdischer Abstammung Franz Kafka (3.7.1883-3.6.1924) und damit das Zusammenspiel seiner Hauptmotive „Macht, Angst, Einsamkeit, Ungerechtigkeit, Suchen und Nichtfinden“ sowie das persönliche Scheitern seiner jeweiligen Protagonisten zu verstehen, stellt eine große geistige Herausforderung dar. Sie dürfte wohl den meisten Lesern nur in Ansätzen gelingen, sieht man z.B. von Reiner Stach ab, der eine dreibändige Biographie Kafkas verfasste, nach der die im März 2024 von der ARD ausgestrahlte sechsteilige Serie „Kafka“ gedreht wurde. Zwar fällt Kafkas 100. Todestag erst auf den 3.6.2024, doch gedenkt man seiner schon im Vorfeld, weshalb „2024“ als „Kafka-Jahr“ gilt. Dabei waren Kafkas Werke zu seinen Lebzeiten fast nur einem kleinen Kreis befreundeter Literaten bekannt, denn nur etwa 350 Seiten mit Kurzgeschichten und Novellen waren von Kafka zum Druck freigegeben worden. Die rund 10fache Menge seiner hinterlassenen Manuskripte, darunter auch die Romanfragmente seiner beiden berühmtesten Werke „Der Prozess“ und „Das Schloss“, hielt er nicht für würdig, veröffentlicht zu werden, und noch auf dem Sterbebett bat er seinen Freund Max Brod, den er zum Verwalter seines Nachlasses ernannte, diese Manuskripte ungelesen zu vernichten, woran sich Brod Gott sei Dank nicht hielt.- Aber bereits 1983 gedachte die Deutsche Bundespost Kafkas anlässlich seines 100. Geburtstags, obwohl Kafka nie die deutsche, sondern nur die österreichische und ab 1918 die tschechische Staatsbürgerschaft besaß. Wir zeigen hier den seinerzeitigen Ersttagsbrief mit der damaligen Sondermarke:

1983 BR Kafka
Die Marke zum damals geltenden Brief- Standardporto von 80 Pfennig wurde bereits am 5.5.1983, also fast 2 Monate vor dem 100. Geburtstag verausgabt und zeigt außer Namen und Lebensdaten Kafkas markante Unterschrift auf tiefdunklem Grund vor einer geheimnisvollen Himmelsstimmung nebst der Silhouette der markanten Türme der Prager Teynkirche. Im direkten Umfeld der Teynkirche und des Altstädter Rings verbrachte Kafka nämlich den größten Teil seines Lebens. Als promovierter Versicherungsjurist fand er fast nur in der Nacht Zeit zum Schreiben seiner meist von autobiographischen Zügen geprägten Texte, in denen vieles wie auf der Briefmarke im Dunkeln bleibt. Die Bonner Ersttagsstempel enthalten ein Portrait nach der letzten bekannten Photographie Kafkas vom Herbst 1923, als er schon von seiner schweren Lungentuberkulose-Erkrankung gezeichnet war, während die Darstellung mit Hut auf dem Umschlag sich auf ein Photo von 1910 gründet. Rechts daneben sehen wir ein Labyrinth, in das es wie in „Das Schloss“ keinen Eingang, und wie in „Der Prozess“ keinen Ausweg gibt. So bleibt Kafka auch in dieser Darstellung „ein Mann, der sich selbst ein Rätsel war und der in ewiger Distanz zu seinen Mitmenschen lebte“, um Reiner Stach zu zitieren.- Kafkas Werke zählen heute unbestritten zur Weltliteratur. Kafka ist zudem der einzige Autor, dessen Name als Adjektiv Eingang in den „Duden“ fand: „kafkaesk“ definiert nämlich der „Duden“ als „auf unergründliche Weise bedrohlich“.

Die Freie Hansestadt Bremen besaß die eigene Posthoheit bis Ende 1867 und verausgabte daher zwischen 1855 und 1867 eigene Briefmarken, die im Michel-Katalog mit 15 Hauptnummern gelistet sind. Doch ab 1.1.1868 war es damit vorbei, denn nach dem innerdeutschen „Bruderkrieg“ von 1866 setzte Preußen die Gründung des Norddeutschen Bundes unter seiner Führung durch, die sich auch in den ab 1868 verausgabten Briefmarken des Norddeutschen Postbezirks niederschlug. Nur die süddeutschen Staaten Baden, Bayern und Württemberg verausgabten noch einige Jahre lang eigene Briefmarken, Bayern sogar bis 1920. Meist erhöhten sich im Laufe der Zeit die Portotarife, wie wir dies auch im 21. Jahrhundert von der Deutschen Post AG hinlänglich kennen. Portosenkungen gab es außer nach Währungsreformen hingegen fast nie, ausgenommen z.B. 1854 in Frankreich oder zum 1.1.1867 in Bremen. Betrug das Porto für einen Brief von bis zu 1 Loth Gewicht (= 16 2/3 g) zwischen Bremen und Bremerhaven bis 31.12.1866 noch 3 Grote, so sank es ab 1.1.1867 auf 2 Grote, wie der hier abgebildete Faltbrief belegt:

1867 Bremen
Unser Brief ist demgemäß mit der 2 Grote dunkelgelblichorange frankiert, die im März 1867 verausgabt wurde und zu den ersten gezähnten Briefmarken Bremens gehörte. Das Motiv bildet das Bremer Wappen mit dem Stadtschlüssel im Ornamentoval mit der Umschrift „STADT-POST-AMT BREMEN“ sowie der Wertangabe „ZWEI GROTE“. Die „Bremer Mark“ (= 3,32 Mark) war in 72 Grote unterteilt. Die farbfrische Marke weist geringfügige Mängel in Form leichter Zähnungsfehler und Bugspuren auf und ist mit dem zweizeiligen Rahmenstempel „BREMEN 23 11*4-5“ (= 23.11., 4-5 Uhr) exakt waagerecht entwertet. Obwohl sich auf der Briefhülle und in den Stempeln keine Jahreszahl findet, steht wegen des Ausgabetermins der Marke fest, dass der Brief im Jahre 1867 expediert wurde, und zwar nur gut 5 Wochen vor dem Ende der Bremer Posthoheit. Der Brief wird im „Bremer Archiv“ des Spezialisten und Prüfers Till Neumann unter Archiv-Nr. 10-82 geführt, wobei dort mit der 2 Grote (= Michel-Nr. 10) insgesamt 229 bis heute bekannt gewordene Briefe gelistet sind. Auch über den Absender verrät uns der Faltbrief nichts, doch zeigen ein Vergleich der Handschrift der Adressierung und der Name des Empfängers bei anderen Briefen mit Absenderstempel, dass der Absender die Bremer Firma „C.A.CAESAR & Co.“ war, deren Inhaber Clemens Albert Caesar (1790-1867) Weinhändler war, aber auch andere Produkte wie z.B. Aktivkohle-Wasserfilter vertrieb. Empfänger des Briefs mit dem rückseitigen Ankunftsstempel „BREMERHAVEN 23.11.“ waren die „Herren F.A.Schilling“ in Bremerhaven, die sich wie seinerzeit viele andere Bremer Betriebe mit der Tabakverarbeitung befassten, vornehmlich als Zigarrenmacher. - Der hübsche und gut erhaltene Brief belegt einerseits den seltenen Fall einer Portosenkung und wurde außerdem in den letzten Tagen der eigenständigen Bremer Postverwaltung befördert, somit „kurz vor Torschluss.“

Sonntag, 11 Februar 2024 11:40

Bremen 1866: „Schöne Konsul-Post“

Wer vom 2023 verstorbenen „schönen Konsul“ und Titelhändler Hans-Hermann Weyer (1938-2023) Post erhielt, der konnte sich meist über ein von ihm vermitteltes Honorarkonsulat oder eine von Weyer eingefädelte Adoption durch einen verarmten Adligen freuen, wofür sich der „schöne Konsul“ jeweils eine stattliche Provision zahlen ließ und nach eigenen Angaben 2019 ein Vermögen im Wert von 450 Mio EUR besaß. Ein auch sehr vermögender, aber wohl deutlich seriöserer Konsul und Geschäftsmann mit den gleichen Vornamensinitialen und dem phonetisch fast gleichen Nachnamen war Mitte des 19. Jahrhunderts Hermann Heinrich Meier (16.10.1809-17.11.1898), der zunächst in Bremen eine kaufmännische Ausbildung im väterlichen Geschäft „H.H.Meier & Co.“ genoss, bevor er es nach längerem Aufenthalt in den USA zum sehr erfolgreichen Kaufmann brachte, der sich schließlich an den Gründungen der Bremer Bank und Bremer Börse beteiligte und 1857 Mitbegründer des Norddeutschen Lloyds wurde. Zudem betätigte er sich seit 1849 in der Bremischen Bürgerschaft und war seit 1847 schwedisch-norwegischer Konsul.- Das Bremer Stammhaus „H.H.Meier & Co.“ führte eine umfangreiche Korrespondenz mit seinen Handelspartnern, zu denen auch die in Bremerhaven ansässige Spedition „P.H.Ulrichs & Co.“ zählte. Eine Faltbriefhülle aus dieser Korrespondenz aus dem Jahre 1866 möchten wir im Folgenden näher betrachten:

1866 Bremen
Bremen verausgabte als Freie Hansestadt mit seinen beiden Exklaven Vegesack und Bremerhaven zwischen 1855 und 1867 bis zur Gründung des Norddeutschen Postbezirks seine eigenen Briefmarken in der lokalen Währung des „Bremer Thalers“ (= 3,32 Mark) zu 72 „Grote“. Das nahezu taufrisch erhaltene Poststück ist demgemäß mit der bremischen 3 Grote schwarz auf blaugrau frankiert, die Anfang 1864 verausgabt wurde und als Vorstufe gezähnter Ausgaben „durchstochen“ ist und somit ohne Schere aus dem Markenbogen getrennt werden konnte. Die Frankatur zu 3 Gr entspricht dem bis Ende 1866 geltenden Tarif für Briefe mit einem Gewicht von bis zu 1 Loth (= 16 2/3 g) zwischen Bremen und Bremerhaven. Die sehr farbfrische und gut zentrierte Marke mit dem Wappenschild unter einer Krone ist bis auf einen leichten Briefbug tadellos erhalten und fast diagonal mit dem zweizeiligen Rahmenstempel „BREMEN 25 1*4-5“ (= 25.1.[1866], 4-5 Uhr) sauber entwertet, der zusätzlich links fast briefmittig glasklar abgeschlagen ist. Der ovale Absender-Firmenstempel „H.H.Meier & Co. BREMEN“ sowie die besonders schöne handschriftliche Adressierung im Zusammenspiel mit Marke und Poststempeln verleihen der Vorderseite eine fast makellose Schönheit. Auf der Rückseite des im „Bremer Archiv“ des Prüfers und Bremen-Spezialisten Till Neumann unter Archiv Nr. 6-63 registrierten Briefs (insgesamt sind nur 95 Briefe mit der Michel-Nr. 6 bekannt) befindet sich der Ankunftsstempel „BREMERHAVEN 25.1. [1866]“ sowie der handschriftliche Vermerk des Empfänger, wonach er die schöne Konsul-Post bereits am Folgetag beantwortete.- Hermann Heinrich Meier wurde übrigens 1960 eine besondere Ehrung zuteil, indem der Seenotkreuzer „H.H.Meier“ nach ihm benannt wurde.

Googelt man „Blauer Block“, stößt man auf Schreibblöcke mit blauem Cover und auf „Blauer Bock“ als Name eines Hotels in München, eines Plattenbaus in Magdeburg oder auf die bis 1987 ausgestrahlte legendäre Unterhaltungssendung des Hessischen Rundfunks „Zum Blauen Bock“ mit Heinz Schenk und Lia Wöhr. Uns geht es aber hier nicht um Hotel, Plattenbau, „Bembel“ oder „Äppelwoi“, sondern um einen blauen Viererblock bayerischer Briefmarken. Bekanntlich wurde mit dem „Schwarzen Einser“ am 1.11.1849 die erste deutsche Briefmarke in Bayern verausgabt, wobei diese schwarze 1 Kreuzer-Marke bereits 11 Monate später durch die motivgleiche 1 Kr rotkarmin ersetzt wurde, weil man auf ihr den schwarzen Entwertungsstempel besser als auf einer schwarzen Marke erkennen konnte, weshalb es übrigens schon 1841 in Großbritannien aus dem gleichen Grund zur Ausgabe der „Penny Rose“ als Nachfolgerin der „Penny Black“ gekommen war. Die Nr. 2 Bayerns im Michel-Katalog ist der Wert zu 3 Kreuzer blau, der in leicht geänderten Blautönen bis zum Ende der sog. „Quadratausgaben“ 1862 immer wieder aufgelegt wurde. Die blaue Farbe auf dem weißen Papier erinnert dabei natürlich an die bayerischen Landesfarben, so dass wir es quasi mit einem „Bavaria Blue“ als Farbton zu tun haben, freilich heller als das Blau des bekannten „Bavaria blu“-Weichkäses. Einen der seltenen Viererblocks der 3 Kreuzer blau präsentieren wir hier:


1858 1862 Bayern
Das Motiv aller bayerischen Quadratausgaben ist weder ein Monarchenkopf noch das Landeswappen, sondern wie bei den ersten Markenausgaben Badens, Württembergs und der Thurn- und Taxis-Marken der jeweilige Frankaturwert als Zahl, hier somit die „3“ mit individueller vermeintlich fälschungssicherer Ornamentik, umgeben von den Wörtern „BAYERN FRANCO DREI KREUZER“ und kleinen „3ern“ in allen 4 Markenecken. Der vom Verbandsprüfer Peter Sem als „echt und nicht repariert“ begutachtete Block ist voll- bis breitrandig geschnitten und nur oben rechts im Schnitt leicht berührt, wobei die komplette vertikale Bogenschnittlinie rechts noch vorhanden ist. Die lediglich rückseitig unauffällige Mängel aufweisenden farbfrischen Blockmarken sind sauber und einzeln mit je einem sog. offenen Mühlradstempel mit der Nummer „37“ (= Bayreuth) entwertet und entstammen den letzten Auflagen von 1858-1862 mit der Druckplatte 5. Die Seltenheit eines solchen Viererblocks kommt auch in der Katalogbewertung deutlich zum Ausdruck, denn der Michel-Katalog bewertet einen Viererblock mit dem 450fachen des Werts einer Einzelmarke. Der Block stellt also wertmäßig -folgt man der Jägersprache- einen durchaus „kapitalen Bock“ dar, der freilich nicht „geschossen“, sondern -ohne „Fehlschuss“- auf einer Auktion erworben wurde und in seiner wunderschönen „Bavaria Blue“-Farbe eine Zierde einer jeden Bayern-Sammlung bedeutet.

Am 6.5.1840 verausgabte die britische Postverwaltung mit der „Penny Black“ und der 2 Pence Blue die beiden ersten Briefmarken der Welt. Sie zeigen ein Jugendbildnis der damals erst knapp 21-jährigen Queen Victoria (24.5.1819-22.1.1901; reg. seit 20.6.1837). Mit fast 64 Regentschaftsjahren gehört Victoria zu den am längsten regierenden Monarchen, doch übertraf ihre Ururenkelin Elizabeth II. (21.4.1926-8.9.2022; reg. seit 6.2.1952) sie insoweit mit über 70 Regierungsjahren. Unter Victorias Herrschaft erfuhr das British Empire seine größte Ausdehnung, als weite Teile Afrikas und Asiens zum damaligen „Alt-Bestand“ hinzukamen. Im Zuge der Entkolonisierung gingen aber die meisten Gebiete unter Georg VI. und Elizabeth II. als Folge des 2. Weltkriegs und des erwachten Nationalbewusstseins der Kolonialvölker verloren, so dass man heute die Zeiten des British Empires als „Tempi passati“ ansehen muss. - An diese Entwicklungen in der Zukunft dachte aber wohl niemand, als 1840 der hier abgebildete blaue Fünferstreifen der am 6.5.1840 verausgabten 2 Pence Blue der Frankatur eines Poststücks diente:

1840 Großbritannien
„Blaue Streifen“ heißt zwar laut Internet eine Elitetruppe in einem kriegerischen Computerspiel, doch nennt man in der Philatelie eine horizontale oder vertikale Aneinanderreihung von mindestens drei ungetrennten Briefmarken einen „Streifen“, so dass es hier folglich um einen blauen Fünferstreifen geht. Im Englischen bezeichnet man einen solchen als „Blue Strip of Five“, wobei dies natürlich nichts mit „Striptease“ oder der finnischen Rockband „Micke Bjorklof & Blue Strip“ zu tun hat. Unser waagerechter farbfrischer Fünferstreifen ist weitgehend bis auf die ersten beiden linken Marken, die im Schnitt teilweise leicht angeschnitten sind, vollrandig. Alle Marken sind sauber jeweils mit einem roten „MC“ (= Malteserkreuz-Stempel) entwertet, was einen besonders schönen Farbkontrast zur blauen Markenfarbe bildet. Die unteren Eckbuchstaben der Marken verraten uns deren ursprüngliche Position im Druckbogen zu 240 Stück = 2 £. Es gab nämlich 20 horizontale Reihen zu 12 Marken jeweils von A bis L, vertikal demgemäß die Buchstaben von A bis T, so dass die erste Marke oben links AA als Kennung besaß und die Marke ganz unten rechts TL. Unser Streifen umfasst die Buchstabenreihung MH bis ML, so dass er aus der 13. horizontalen Reihe mit den letzten 5 Marken und damit vom rechten Bogenrand stammt. Fünferstreifen der 2 Pence Blue von 1840 sind äußerst selten und entsprechend wertvoll, während hingegen solche Streifen ihrer fast identischen Nachfolgerin von 1841, die sich nur durch einen waagerechten weißen Unterstrich unter „POSTAGE‘‘ und einen ebensolchen über „TWO PENCE“ unterscheidet, deutlich häufiger als unser „Blue Strip of Five“/„Blauer Fünferstreifen“ zu finden sind.

Samstag, 04 November 2023 11:40

Frankreich 1860: „Der Stempel macht‘s!“

1954 drehte Alfred Hitchcock u.a. in Nizza den berühmten Film „Über den Dächern von Nizza“, mit Cary Grant und Grace Kelly in den Hauptrollen. Grace Kelly lernte im Folgejahr Fürst Rainier III. von Monaco kennen und gab 1956 ihre Filmkarriere nach der Hochzeit mit dem Fürsten auf. - 100 Jahre zuvor war der Filmschauplatz Nizza aber noch nicht französisch, sondern gehörte wie auch Savoyen zum Königreich Sardinien-Piemont, war also, wie schon der Name besagt, noch italienisch. Die Grafschaft Nizza verzeichnete schon zuvor eine wechselvolle Geschichte aufgrund ihrer strategisch wichtigen Lage und wechselte immer wieder den Besitzer, wobei Nizza unter Ludwig XIV. und Napoleon bereits für einige Jahre zu Frankreich gehörte. Nach Napoleons Abdankung 1814 fiel Nizza wieder an Piemont, wurde aber 1859 im Krieg um Italiens Einigung mit Savoyen für Napoleon III. zur „Verhandlungsmasse“. Aufgrund eines Geheimabkommens sollte Frankreich für seinen Kriegseintritt gegen Österreich die Lombardei mit Mailand und eigentlich auch Venetien dem Königreich Sardinien-Piemont verschaffen und dafür Savoyen und Nizza erhalten. Obwohl Venetien bis 1866 österreichisch blieb, bekam der Sieger 1860 den vereinbarten „Preis“. Nachdem im April 1860 99,3 % der Einwohner Nizzas für die Angliederung an Frankreich gestimmt hatten, rückten am 14.6.1860 französische Truppen in Nizza ein. Die dortige sardische Postverwaltung wurde durch die französische ersetzt, was aber anfangs zu kuriosen Frankaturen führen konnte, wie nachstehender Brief zeigt:

36 1860 Frankreich

Der Faltbrief ist mit der französischen 20 Centimes blau der Ausgabe „Napoléon non dentelé“ mit dem Portraitkopf Kaiser Napoleons III. frankiert. Zwar ist die Marke allseits breitrandig geschnitten, insbesondere rechts und links durchgehend überrandig mit Teilen der Nachbarmarken, doch diente die blaue 20 C-Marke dem Standardporto für Überlandbriefe der 1. Gewichtsstufe innerhalb Frankreichs. Laut Maury-Katalog wurden davon fast 1 Mrd. Exemplare gedruckt, so dass die Marke im Michel-Katalog lose mit nur 1 € und auf Brief mit 2,50 € wertet, also keinerlei Rarität darstellt. Doch der Stempel „macht‘s“: Anfang September 1860 fehlten in einigen  Postämtern noch Stempel mit der neuen französischen Ortsangabe „Nice“, weshalb das Hafenpostamt vorübergehend noch auf die sardischen, also italienischen Stempel „Nizza Mar(ittim)a“ zurückgreifen musste. Und genau dieser Stempel ist auf unserem Brief mit dem Datum 5.9.1860 gleich zweimal abgeschlagen, zum einen wunderbar zentrisch auf der Marke, des Weiteren gut lesbar daneben. Diese seltene Kombination von Marke und sardischem Stempel bedeutet auf Brief den 200fachen Katalogwert. Der via Marseille nach Lyon gerichtete Brief erreichte seinen Empfänger gemäß rückseitigem Ankunftsstempel bereits 1 Tag später (6.9.1860). Der hübsche Brief entstammt der umfangreichen „Ing. Pietro Provera Collection“, ein großer Sammler und zugleich Markenprüfer, der eine Vorliebe für außergewöhnliche klassische philatelistische Belege, vornehmlich aus Frankreich und Italien, hatte.

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