Frankreich 1860: „Der Stempel macht‘s!“

1954 drehte Alfred Hitchcock u.a. in Nizza den berühmten Film „Über den Dächern von Nizza“, mit Cary Grant und Grace Kelly in den Hauptrollen. Grace Kelly lernte im Folgejahr Fürst Rainier III. von Monaco kennen und gab 1956 ihre Filmkarriere nach der Hochzeit mit dem Fürsten auf. - 100 Jahre zuvor war der Filmschauplatz Nizza aber noch nicht französisch, sondern gehörte wie auch Savoyen zum Königreich Sardinien-Piemont, war also, wie schon der Name besagt, noch italienisch. Die Grafschaft Nizza verzeichnete schon zuvor eine wechselvolle Geschichte aufgrund ihrer strategisch wichtigen Lage und wechselte immer wieder den Besitzer, wobei Nizza unter Ludwig XIV. und Napoleon bereits für einige Jahre zu Frankreich gehörte. Nach Napoleons Abdankung 1814 fiel Nizza wieder an Piemont, wurde aber 1859 im Krieg um Italiens Einigung mit Savoyen für Napoleon III. zur „Verhandlungsmasse“. Aufgrund eines Geheimabkommens sollte Frankreich für seinen Kriegseintritt gegen Österreich die Lombardei mit Mailand und eigentlich auch Venetien dem Königreich Sardinien-Piemont verschaffen und dafür Savoyen und Nizza erhalten. Obwohl Venetien bis 1866 österreichisch blieb, bekam der Sieger 1860 den vereinbarten „Preis“. Nachdem im April 1860 99,3 % der Einwohner Nizzas für die Angliederung an Frankreich gestimmt hatten, rückten am 14.6.1860 französische Truppen in Nizza ein. Die dortige sardische Postverwaltung wurde durch die französische ersetzt, was aber anfangs zu kuriosen Frankaturen führen konnte, wie nachstehender Brief zeigt:

36 1860 Frankreich

Der Faltbrief ist mit der französischen 20 Centimes blau der Ausgabe „Napoléon non dentelé“ mit dem Portraitkopf Kaiser Napoleons III. frankiert. Zwar ist die Marke allseits breitrandig geschnitten, insbesondere rechts und links durchgehend überrandig mit Teilen der Nachbarmarken, doch diente die blaue 20 C-Marke dem Standardporto für Überlandbriefe der 1. Gewichtsstufe innerhalb Frankreichs. Laut Maury-Katalog wurden davon fast 1 Mrd. Exemplare gedruckt, so dass die Marke im Michel-Katalog lose mit nur 1 € und auf Brief mit 2,50 € wertet, also keinerlei Rarität darstellt. Doch der Stempel „macht‘s“: Anfang September 1860 fehlten in einigen  Postämtern noch Stempel mit der neuen französischen Ortsangabe „Nice“, weshalb das Hafenpostamt vorübergehend noch auf die sardischen, also italienischen Stempel „Nizza Mar(ittim)a“ zurückgreifen musste. Und genau dieser Stempel ist auf unserem Brief mit dem Datum 5.9.1860 gleich zweimal abgeschlagen, zum einen wunderbar zentrisch auf der Marke, des Weiteren gut lesbar daneben. Diese seltene Kombination von Marke und sardischem Stempel bedeutet auf Brief den 200fachen Katalogwert. Der via Marseille nach Lyon gerichtete Brief erreichte seinen Empfänger gemäß rückseitigem Ankunftsstempel bereits 1 Tag später (6.9.1860). Der hübsche Brief entstammt der umfangreichen „Ing. Pietro Provera Collection“, ein großer Sammler und zugleich Markenprüfer, der eine Vorliebe für außergewöhnliche klassische philatelistische Belege, vornehmlich aus Frankreich und Italien, hatte.

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