Albanien 1938: König Zogu und die „Rose von Tirana“
Im Zuge des 1. Balkankriegs proklamierten die Vertreter der albanischen Nationalbewegung am 28.11.1912 die Republik Albanien, die im Folgejahr von den damaligen Großmächten anerkannt wurde. Allerdings sollte der neue Staat nach deren Willen ein Fürstentum sein, wobei die Wahl auf Prinz Wilhelm zu Wied fiel, einen Neffen der rumänischen Königin Elisabeth, der aber bereits nach wenigen Monaten mit Ausbruch des 1. Weltkriegs „das Handtuch warf“ und das Land verließ. Nach der Besetzung des Landes im Krieg und seiner wieder erlangten Souveränität stritten Anfang der 20er Jahre rivalisierende Clans um die politische Macht, bis sich der Stammesführer Ahmet Zogu (8.10.1895- 9.4.1961) 1921 durchsetzen konnte und das Land ab 1925 als Präsident mehr oder weniger autokratisch regierte. Ähnlich wie die beiden „Napoleons“ I. und III. ließ er sich nach wenigen Jahren an der Spitze der Republik zum Monarchen proklamieren und regierte Albanien ab 1.9.1928 unter dem Namen Zogu I. als König der Albaner. Lange suchte der als Sohn eines Feudalherrn nur aus niedrigem Adel stammende Muslim Zogu nach einer passenden Ehefrau. Über ein Foto in einer Illustrierten wurde er 1937 auf die bildhübsche ungarische Gräfin Geraldine Apponyi de Nagy- Appony (6.8.1915- 22.10.2002) aufmerksam, die katholisch war und dem europäischen Hochadel entstammte. Doch war ihre Familie ziemlich verarmt, und sie selbst arbeitete in einem Museumskiosk in Budapest. Der 20 Jahre ältere König war von ihrer Schönheit und ihrem Charme so fasziniert, dass er Geraldine über Silvester 1937/38 nach Tirana einlud. Sie nahm seinen Heiratsantrag an, und die Hochzeit am 27.4.1938 wurde mit großem Pomp begangen. - Auch die albanische Post würdigte dieses damals bereits mediale Großereignis. Neben 8 Einzelmarken mit dem Königspaar erschien auch der nachstehende Markenblock:
Die Blockausgabe, die nur 12.000 Exemplare zählt, besteht aus 4 diagonal gepaarten Werten, nämlich 2 Marken zu 20 Qint dunkellila und 2 Marken zu 30 Q dunkeloliv. Am bildschönen Portrait der jungen Königin, die die Herzen der Albaner schnell gewann (eine Art Grace Kelly der 30er Jahre) und von der Presse als „Rose von Tirana“ gefeiert wurde, gab es nichts zu kaschieren, anders beim 20 Jahre älteren König, den der Grafiker optisch auf den Marken einer „Verjüngungskur“ unterzog. Die Randbeschriftung des postfrisch erhaltenen Blocks lautet: „Mbretnija Shqiptare“ („Königreich Albanien“) sowie „Martesa e Mbretit Eveniment Kombtar“ („die Ehe des Königs als nationales Ereignis“). Sehr gelungen ist auch die gemeinsame Darstellung der Initialen von „Z“ und „G“ in einem Lorbeerkranz. - Knapp ein Jahr später wurde der Thronerbe Leka am 5.4.1939 geboren, doch fielen 2 Tage später Mussolinis Truppen in Albanien ein. Die königliche Familie floh außer Landes und lebte fortan im Exil. Die „Rose von Tirana“ kehrte erst vier Monate vor ihrem Tod 2002 nach Albanien zurück.
Serbien 1903: Königlicher Doppelmord
Christopher Clark, der aus Australien stammende und an der Universität Cambridge lehrende Geschichtsprofessor, der auch im ZDF bereits einige historische Sendereihen in seiner bekannt distinguierten und sympathischen Art moderierte, beginnt sein bekanntes Sachbuch „Die Schlafwandler“ auf der Suche nach den Ursachen des 1. Weltkriegs mit der ausführlichen Schilderung der grausamen Ermordung des serbischen Königspaares am 11.6.1903. König Alexander/Aleksandar aus dem Fürstenhaus Obrenović (Александар Обренович; 14.8.1876-11.6.1903; reg. seit 1889) hatte mit 12 Jahren nach der Abdankung seines Vaters Milan 1889 den Thron bestiegen und stand zunächst unter einer Regentschaft, bis er 1893 selbst die Regierung übernahm. Doch war die Herrschaft der Obrenović und ihrer Österreich- freundlichen Politik der rivalisierenden Fürstenfamilie Karageorgević/Karadjordjević ein Dorn im Auge. Als dann Alexander im Juli 1900 die verwitwete und durch zahllose Affären vorbelastete 15 Jahre ältere Draga Mašin gegen alle Widerstände heiratete, schließlich noch aufgrund der Kinderlosigkeit der Ehe Dragas Bruder zum Thronfolger ernannte, war für das Belgrader Offizierscorps das Maß voll. Am späten Abend des 11.6.1903 drangen 28 Offiziere in den Belgrader Königspalast ein. Alexander und Draga, die sich hinter einer Geheimtür versteckt hatten, wurden entdeckt und von Kugeln durchsiebt, und ihre Leichen bestialisch verstümmelt aus dem Fenster geworfen. Der Hass auf König Alexander, dessen Nachfolger Peter/Petar I. Karadjordjević war, zeigte sich auch in einer Briefmarkenserie von Ende Juni 1903, von der 5 Exemplare auf folgendem Brief frankiert wurden:
Der rückseitig mit „D & S“ gesiegelte Umschlag, der am 9.8.1903 in Serbiens Hauptstadt Belgrad aufgegeben wurde, hatte Ägypten zum Ziel, eine für einen serbischen Brief damals eher ungewöhnliche und damit seltene Destination. Empfänger war die Gesundheitsbehörde des Kairoer Innenministeriums. Die 5 Briefmarken lassen auf den ersten Blick kein Motiv erkennen, was jedoch beabsichtigt war. Es handelt sich nämlich um einen Teil der letzten, nicht mehr zur Ausgabe gelangten Markenserie mit dem Portrait des fast zeitgleich ermordeten Königs Alexander im Markenmedaillon. Um den verhassten König auch noch bildlich „auszumerzen“, ließ die Post sein Portrait mit dem serbischen Wappen überdrucken, um die Druckkosten der schon fertigen Auflage nicht verloren zu geben, passend übrigens zu Ägypten, denn dessen Pharao Thutmosis III. soll um 1450 v. Chr. das Ausmeiseln der Darstellungen seiner Vorgängerin Hatschepsut angeordnet haben. Die Marken zu 5 Para grün, 10 P rosa, 15 P olivgrau, 20 P gelborange und 25 P blau mit jeweils schwarzgrauem Mittelfeld sind akkurat nebeneinander geklebt und paarweise mit Belgrads Ortsdoppelkreisstempel vom 9.8.1903 sauber entwertet. Das ungewöhnliche Poststück kam laut rückseitigem Ankunftsstempel am 31.8. in „Caire“ bzw. „El Kahira“ im „Land der Pharaonen“ an.- Serbiens Politik war unter König Peter I. fortan gegen Österreich- Ungarn gerichtet, für Clark ein wichtiger Faktor für den Ausbruch des 1. Weltkriegs.
Bulgarien 1938: „Seine Majestät, der Ministerpräsident!“
So manchem republikanischen Regierungschef oder Staatsoberhaupt sagte man schon nach, im Laufe seines Wirkens monarchische Züge bzw. royale Allüren entwickelt zu haben, dies um so mehr, als manches Staatsoberhaupt einer Republik im ehemaligen Monarchenschloss residiert, so z.B. der österreichische Bundespräsident in der Wiener Hofburg oder der italienische Staatspräsident in Roms Quirinal- Palast. Einzelne solcher führender Repräsentanten, die den Amtseid auf die Republik geleistet hatten, ließen sich später zu Monarchen proklamieren wie z.B. die beiden „Napoleons“ I. und III. oder Albaniens Ahmet Zogu zu König Zogu I. Der Fall, dass ein einstiger Monarch nach dem Verlust seines Throns Regierungschef in der nachfolgenden Republik wurde, ist hingegen extrem selten, sogar -zumindest in Europa- singulär und trug sich in Bulgarien zu: Am 24.7.2001 wurde Simeon Borissow Sakscoburggotski (bulgarisch: Симеон Борисов Сакскобургготски; geb. 16.6.1937) vom bulgarischen Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt. Der Mann mit dem scheinbar so seltsamen Nachnamen entstammte dem deutschen Adelsgeschlecht Sachsen- Coburg- Gotha, war von 1943 bis 1946 als Sohn von Zar Boris III. und Enkel von Zar Ferdinand als Simeon II. letzter Zar von Bulgarien gewesen, musste jedoch 1946 mit 9 Jahren nach der Machtergreifung durch die Kommunisten und der Abschaffung der Monarchie das Land verlassen und lebte bis 1996 im Exil. Dabei war er bereits 1938 als Thronfolger anlässlich seines 1. Geburtstags von der bulgarischen Post gewürdigt worden, wie der nachstehende Beleg aus dem Jahre 1938 dokumentiert:
Der eingeschriebene Umschlag ist von Sofia nach Hamburg gerichtet und als Buntfrankatur mit 9 Briefmarken frankiert. Neben je 2 Exemplaren der 30 Stotinki gelbbraun mit der Darstellung von Getreideähren sowie der 50 St schwarz „Hühnerzucht“, die beide aus einer Markenserie zum Thema „Bulgarische Wirtschaft“ stammen, liegen der philatelistische Schwerpunkt und der Grund für die Versendung des Umschlags eindeutig bei den 5 Marken der oberen Reihe, die zusammen den kompletten Satz der Geburtstags- Ausgabe für den einjährigen Kronprinzen Simeon bilden und in den kräftigen Farben grün (1 Lew), rosakarmin (2 Lewa), orangerot (4 L), ultramarin (7 L) und braun (14 L) gehalten sind. Die Marken wurden jeweils in Dreiergruppen mit dem Luftpoststempel „Poste Aérienne“ vom 8.8.1938 in Sofia (София) entwertet und der Beleg an den seinerzeitigen Hamburger Briefmarkenhändler Karl Hennig per Luftpost versandt. Die hübsche Buntfrankatur traf gemäß rückseitigem Ankunftsstempel bereits am 10.8. in Hamburg ein, somit nur rund ein Jahr vor Ausbruch des 2. Weltkriegs, und wurde von Hennig sicherlich an einen seiner Kunden veräußert. Mit Simeons Portrait gab es danach nur noch eine einzige Marke, die ihn 1944 als 7- jährigen König zeigt. Der Ex- Zar Simeon war von 2001 bis 2005, somit 4 Jahre lang bulgarischer Ministerpräsident und damit 1 Jahr länger im Amt als seine Regierungszeit als Kind- Zar währte.
Rumänien 1933- 1972: König Carols Karpatenschloss
Die Sommer in Bukarest, auf durchschnittlich 70 m Höhe über dem Meer gelegen, sind heiß, das Klima gilt als ungesund. Rumäniens junger Fürst Carol I. aus dem Hause Hohenzollern- Sigmaringen (20.4.1839- 27.9./10.10.1914; reg. seit 1866) und seine Gemahlin Elisabeth zu Wied, die 1869 geheiratet hatten, erkrankten deshalb häufig und litten unter der Sommerhitze. Der hübsche Kurort Sinaia in den Südkarpaten liegt nur rund 140 km nordwestlich von Bukarest und besitzt auf über 700 m Höhe eine erfrischende Luft. So lag es nahe, dass sich das Fürstenpaar in der dortigen Sommerfrische Rumäniens eine Sommerresidenz ab 1873 erbauen ließ, die nach dem dortigen Gebirgsbach Peleș Schloss Peleș hieß und 1883 fertiggestellt wurde. Im deutschen Neorenaissancestil erbaut mit vielen Türmen und Türmchen sowie Fachwerk in den oberen Stockwerken und unzähligen Holzvertäfelungen in seinen Sälen erinnerte Peleș Carol I., seit 1881 zum König von Rumänien erhoben, an seine Jugend im väterlichen Sigmaringer Schloss. Jeden Sommer übersiedelte der Hof von Bukarest nach Peleș, das in dieser Jahreszeit das eigentliche Regierungszentrum des Landes bildete, auch während der Julikrise 1914 vor Ausbruch des 1. Weltkriegs. Carol I. befürwortete ein Bündnis mit den Mittelmächten, fügte sich aber dem Kronrat, der im Musiksaal von Peleș mit großer Mehrheit die Neutralität des Landes beschloss. - Das herrliche Schloss war mehrfach das Motiv rumänischer Briefmarken, erstmals 1933 zum 50. Jubiläum seiner Fertigstellung. Wir betrachten im folgenden 4 zwischen 1933 und 1972 verausgabte Marken mit Schloss Peleș:
Die beiden Marken der oberen Reihe entstammen dem Jubiläumssatz von 1933. Auf der 1 Leu violett sehen wir unter der Beschriftung „Castelul Peleș“ das Königspaar, rechts Carol I., links Königin Elisabeth, die zugleich auch eine begabte Schriftstellerin und Dichterin war und unter ihrem Pseudonym Carmen Sylva (Latinisierung von „Waldgesang“) viele Werke verfasste, deren Großteil am „Musenhof“ von Peleș entstand. König und Königin erfuhren durch das Aufstellen von Denkmälern auf der Schlossterrasse und im Park eine zusätzliche Würdigung. Die zinnoberrote Marke zu 6 Lei präsentiert die klassische Silhouette dieses rumänischen Märchenschlosses mit seinen markanten Türmen. Einen direkten Vergleich des Sigmaringer Vorbilds mit Schloss Peleș kann man auf der grünen Marke zu 1,5 L unten links vornehmen, die 1939 im Rahmen eines Markensatzes anlässlich des 100. Geburtstags von Carol I. erschien. Es sollte dann bis 1972 dauern, bis Schloss Peleș wieder als Markenmotiv in der kommunistischen Ära in der Dauermarkenserie „Bauten“ mit dem Wert von 3,45 L dunkelgrüngrau zu sehen war. - König Carol I. starb nur knapp 2 Monate nach seiner Abstimmungsniederlage von Anfang August 1914 im Kronrat an gebrochenem Herzen auf Schloss Peleș. Elisabeth/Carmen Sylva folgte ihrem Gatten im März 1916. Beide ruhen in der Klosterkirche Curtea de Argeș.
1871: „Vater darbt – Tochter singt“
Durch den Belagerungsring der preußischen Truppen im Deutsch- Französischen Krieg 1870/71 war Paris seit dem 20.9.1870 vom Postverkehr abgeschnitten. Über eine Methode, Post nach Paris gelangen zu lassen, nämlich mittels in der Seine schwimmender Zinkkugeln mit einem Fassungsvermögen von rund 600 Briefen, hatten wir in einem gesonderten Artikel schon ausführlich berichtet, auch über das praktische Scheitern dieser Erfindung, denn keine Zinkkugel konnte seinerzeit nach dem Zuwasserlassen in Paris geborgen werden. Die Idee hatte sich aber sogar im Ausland herumgesprochen, wie der folgende Brief aus einer Jahrzehnte später aufgefundenen Zinkkugel zeigt:
Es handelt sich um einen hervorragend erhaltenen Zinkkugelpostbrief, ordnungsgemäß mit dem dafür erhöhten Porto zu 1 Franc freigemacht, bestehend aus einer Marke zu 80 Centimes rosa der kaiserlichen Ausgabe „Napoléon III. mit Lorbeerkranz“ und einer blauen Marke zu 20 Centimes der republikanischen Ceres- Ausgabe. Beide Marken, die farbfrisch und fehlerfrei erhalten sind, sind mit dem Punktrhombenstempel von Bordeaux „532“ entwertet. Daneben ist ein entsprechender Datumsstempel vom 5.1.1871 abgeschlagen; naturgemäß fehlt ein rückseitiger Ankunftsstempel. Und dennoch wurde der Brief nicht in Bordeaux, sondern im belgischen Brüssel geschrieben, wie sein Inhalt beweist. Der Briefinhalt ist nämlich noch gut zu lesen. Eine Tochter namens Berthe schreibt aus Brüssel am 1.1.1871 ihrem Vater, einem französischen Colonel in der Krankenabteilung des Hôtel des Invalides : „Ich habe in der Zeitung ´L´Independance Belge´ gelesen, dass es ein Mittel gibt, Briefe nach Paris gelangen zu lassen, indem man sie über Moulins versendet.“ Sie mache nun eiligst davon Gebrauch und hoffe, dass der Brief „mein gutes und liebes Väterchen“ (mon bon et cher petit père) erreiche, denn sie sei in großer Sorge, schon so lange nichts von ihm gehört zu haben. Weiter heißt es: „Ich bin seit einem Monat in Brüssel. Ich werde dort vielleicht eine oder zwei Opern singen. Ich hatte eine 20- tägige Konzerttournée in Holland und hatte großen Erfolg.“ Im November sei sie noch in London gewesen. Ihr und ihrer Schwester Louisette gehe es gut, „denn es mangelt uns an nichts, während Du sehr an der schlechten Nahrungsversorgung leiden musst.“ Immerhin übermittelte unsere gut versorgte Opernsängerin ihrem „Väterchen“ am Ende des Briefs noch „1000 gute Wünsche für das Neue Jahr, von dem ich hoffe, dass es besser als 70 (= 1870) werde“ (alle Briefpassagen aus dem Französischen übersetzt). Den unfrankierten Brief dürfte Opernsängerin Berthe in einen Begleitbrief an eine Mittelsperson in Bordeaux gelegt haben, wo er dann frankiert und zur Weiterbeförderung abgestempelt wurde, aber den kranken Vater nie erreichte.
Paris 1870: „Die Boulevards sind traurige Monster“
Nachdem im Deutsch- Französischen Krieg 1870/71 Paris von den preußischen Belagerungstruppen eingeschlossen war, konnten Briefe ab dem 20.9.1870 nur als Zusatzfracht in den Körben großer Ballone ausgeflogen werden. Diese maximal 4 g „schweren“ und meist kleinen Briefe sind in der Regel dicht beschrieben und trotz ihres interessanten Inhalts wegen der durchscheinenden Schrift der beschriebenen Rückseite äußerst schwer zu lesen. Sie setzen zudem leidliche Kenntnisse der französischen Sprache, viel Geduld, gute Augen, eine Lupe und etwas Phantasie sowie Übung beim Entziffern einer individuellen Schreibschrift voraus, was dem Verfasser bei nachstehendem Poststück bis auf wenige wohl unwichtige Einzelwörter gelungen ist:
Das nur 7,8 cm lange und 5,5 cm hohe Ballonbriefchen ist mit einer damals für das Standardporto von 20 Centimes verausgabten Marke der blauen „Napoléon III., tête laurée“ (Napoléon III. mit Lorbeerkranz) frankiert und am 28.10.1870, also erst knapp 6 Wochen nach Beginn der Belagerung, in Paris abgestempelt worden, wobei es sich um den sehr seltenen Armeepoststempel aus dem Generalstab (Armée Franҁaise Quartier Général) handelt. Der Brief ist an einen gewissen Georges Bertrand nach Troyes im Département Aube gerichtet und dort laut rückseitigem Ankunftsstempel am 3.12.1870 angekommen. Er wurde – wie man den Tabellen der Fachliteratur entnehmen kann – mit dem Ballon „Le Colonel Charras“ befördert, der am 29.10.1870 mit 450 kg Post, 6 Brieftauben und einem Piloten aufstieg und 250 km entfernt landete, und dann weiterbefördert. Ein junger Offizier namens Eugène schreibt seinem Freund Georges: „Ich weiß nicht, ob Du meinen letzten Brief lesen konntest, den ich mittels Ballonpost schickte. Ich versuche es ein zweites Mal und hoffe, dass Du ihn erhalten wirst.“ Nach einigen Erzählungen teilt er weiter mit: „Ich habe das Glück, seit einigen Tagen im Generalstab als Sekretär tätig zu sein, wo ich mich wohl fühle, denn es ist auch ein guter Schutz gegen die derzeitigen Temperaturschwankungen…. Ich spreche nicht über Politik oder militärische Dinge, dies aus gutem Grund… Ich verzweifle nie, Du erinnerst Dich doch an meinen Charakter, an unsere Spaziergänge auf dem Boulevard und unsere langen Diskussionen, unsere schönen Abende in den verschiedenen Theatern. Das alles existiert nicht mehr. Alle Theater sind ausnahmslos geschlossen, unsere Boulevards sind traurige Monster und die Straßen praktisch verlassen, keine Zivilisten, nur wehrfähige Soldaten. Es ist schwierig, annehmbar zu leben, alles ist sehr teuer und nicht gut.“ Eugène sehnt den Tag des Wiedersehens herbei und vertraut im übrigen auf Gott, ohne zu wissen, dass die Zustände in den nächsten Monaten in Paris noch viel schlimmer werden sollten. Nach Grüßen an namentlich genannte Freunde und Verwandte bittet er seinen Freund ihm zu schreiben: „Vielleicht kommt Dein Brief an.“ ( Übersetzung der Briefpassagen aus dem Französischen). Briefe gelangten aber während der Belagerung nur vereinzelt nach Paris. Ob sich unsere beiden Freunde Eugène und Georges wiedersahen, werden wir leider nie erfahren.